Dass es bei Tiernotrufen nie so etwas wie Routine gibt, merkten wir gleich, als an einem Dezembermorgen das Telefon klingelte: der Polizeibeamte am anderen Ende der Leitung berichtete, dass mitten auf der Autobahnabfahrt Bingen Ost ein Uhu auf der Fahrbahn sitzen würde.
Als die Kollegin eintraf, war die Straße bereits abgesperrt, und tatsächlich handelte es sich bei dem Tier um einen ausgewachsenen Uhu, ein Weibchen, wie wir später noch feststellen würden.
Der Vogel stand offensichtlich unter Schock, ein Auge war zugekniffen. Auf den ersten Blick war nur eine leicht blutige Stelle an der Nase zu erkennen, sonst nichts. Dafür ließ sich das Tier gut mit Sicherheitshandschuhen und einem Handtuch aufnehmen und ins Tierheim bringen.
Glücklicherweise war unsere Tierärztin vor Ort und konnte das Uhuweibchen direkt untersuchen. Es ist schwer zu beschreiben, mit welchem Respekt und auch mit welchem Herzklopfen selbst Leute, die täglich mit Tieren zu tun haben, an die Untersuchung herangehen, wenn solch ein ausgewachsener Uhu vor einem auf dem Untersuchungstisch steht. Immerhin kann dieser notfalls einen ausgewachsenen Fuchs schlagen!
Am Gewölle erkannte man jedoch, dass die letzte Mahlzeit ganz offensichtlich ein Kaninchen gewesen war.
Der Falkner, der ihn noch am gleichen Abend abholte, erklärte uns, dass er ihn am nächsten Morgen zu einem Papageien-Spezialisten nach Wiesbaden bringen würde, denn Uhus und Papageien seien sich sehr ähnlich. Das war auch für uns etwas Neues.
Der Spezialist diagnostizierte dann auch ein Schädel-Hirn-Trauma; es lässt sich nur vermuten, dass dieses von einer Kollision des Uhus mit einem LKW herrührt.
Der Falkner kennt seinen Bestand, und so konnte das Tier nach zehn Tagen sorgfältiger Pflege wieder in der Nähe des Steinbruchs, der sein Revier ist, ausgewildert werden.
Wir freuten uns, dabei sein zu dürfen, als der Falkner ihn in der Abenddämmerung in seine gewohnte Umgebung nahe der Rochuskapelle zurückbrachte. Nach ein paar Startschwierigkeiten – beim ersten Versuch landete der Uhu im Gebüsch, wo er wegen Füchsen und anderen Raubtieren nicht bleiben konnte – setzte ihn der Falkner kurzerhand in eine Nische im Fels, von wo aus er später problemlos seinen Weg finden würde.